Paul (AfD): Marx-Ausstellungen um Opfer-Perspektive erweitern – Ausklammerung der Wirkungsgeschichte nicht hinnehmbar

capitalism-155799_1280Die AfD-Fraktion setzte am 5. Oktober 2016 in der Plenarsitzung im Landtag von Rheinland-Pfalz in der Aktuellen Debatte die inhaltliche Ausrichtung der beiden vom Land und der Stadt Trier finanzierten Ausstellungen zum 200. Geburtstag von Karl Marx im Jahre 2018 auf die Tagesordnung. Hintergrund: Die Wirkungsgeschichte der marxistischen Ideologie im 20. Jahrhundert soll ausgeklammert werden.

Rainer Auts, Geschäftsführer der vom Land Rheinland-Pfalz und der Stadt Trier getragenen Ausstellungsgesellschaft, begründete die Ausklammerung dieser Wirkungsgeschichte im „Trierischen Volksfreund“ damit, dass „kein Platz mehr“ vorhanden sei. In der Trierer Rathauszeitung lässt Auts aber auch eine inhaltliche Komponente erkennen: „Die ideologische Vereinnahmung der Vergangenheit hat eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit Marx erschwert. Wir zeigen deshalb Karl Marx und sein Werk in seiner Zeit. Die Rezeption im 20. Jahrhundert ist nicht Gegenstand der Ausstellung.“

Die beiden Ausstellungen sind mit einem Etat von 5,1 Millionen Euro ausgestattet, wovon 75 Prozent das Land Rheinland-Pfalz und 25 Prozent die Stadt Trier beisteuert. Über Sponsoren, Spenden und Eintrittserlöse sollen gut vier Millionen Euro an Einnahmen erzielt werden. Für die verbleibende Million Euro an Kosten sollen Stadt (250 000 Euro) und Land (750 000 Euro) aufkommen. Weil die Ausstellungen also zu 75 Prozent vom Land finanziert werden, war der Landtag nach Bekanntwerden des Ausstellungskonzepts der geeignete Ort zur Aussprache.

Diktatur des Proletariats zentrale marx’sche Utopie

Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Joachim Paul kritisierte die Entscheidung der Ausstellungsmacher, die Wirkungsgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht zu thematisieren, denn es gäbe durchaus eine geistige Kontinuität von Karl Marx zu den kommunistischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts. „Die Diktatur des Proletariats ist die zentrale marx’sche Utopie. Eine Utopie der Gewalt, in der Terror zur Regierungsform wird“, so Paul im Plenum. Wie sehr Marx Lenin in seiner antidemokratischen Haltung beeinflusste, macht Henning Ottmann 2008 in seiner „Geschichte des politischen Denkens. Die Neuzeit. Die politischen Strömungen im 19. Jahrhundert“ deutlich:
„Der Weg des Parlamentarismus war damit versperrt. An seine Stelle tritt die offen deklarierte Diktatur. Lenin wird genau diese Konsequenz aus seiner Analyse des ‚Bürgerkriegs in Frankreich‘ ziehen: Ablehnung des Parlamentarismus, Zerschlagung des bürgerlichen Staates.“ (S.171)

Die antidemokratische Haltung von Marx untermauerte Paul in seiner Rede mit Zitaten wie „demokratisches Lumpengesindel“ oder „Geschmeiß“.

Noch schlimmer als die antidemokratischen Kontinuitätslinien zwischen Marx und Lenin sind allerdings die Übereinstimmungen bezüglich des Einsatzes von Terror. Stephane Courtois schreibt in seinem Aufsatz „Die Verbrechen des Kommunismus“ (In: Das Schwarzbuch des Kommunismus):
„Über einzelne Verbrechen, punktuelle, situationsbedingte Massaker hinaus machten die kommunistischen Diktaturen zur Festigung ihrer Herrschaft das Massenverbrechen regelrecht zum Regierungssystem. … Doch garantierte die Erinnerung an den Terror weiterhin die Glaubwürdigkeit und damit die Effektivität der Repressionsdrohung. Keine Spielart des Kommunismus, die einmal im Westen populär war, ist dieser Gesetzmäßigkeit entgangen.“ (S. 14)

„Von vornherein verstanden sich Lenin und seine Genossen als Führer eines gnadenlosen Klassenkampfs, in dem der politische oder ideologische Gegner, ja sogar widerspenstige Bevölkerungsteile als auszumerzende Feinde betrachtet und auch so behandelt.“ (S.20/21)

Die furchtbare Bilanz ist bekannt. Courtois kommt allein für die Sowjetunion auf 20 Millionen Tote, insgesamt ermittelt er 100 Millionen Tote, die der Kommunismus zu verantworten hat. Doch was hat das alles mit Karl Marx zu tun?

Was haben 100 Millionen Tote mit Karl Marx zu tun?

Beatrix Bouvier, von 2003 bis 2009 Leiterin des Museums und der Forschungsstelle Karl-Marx-Haus in Trier sowie wissenschaftliche Leiterin des Jubiläumsprogramms 2018, legt das Augenmerk auf die Unterschiede zwischen Lenin und Marx und macht das zum Beispiel an der Formel „Diktatur des Proletariats“ fest. Nach Marx sei die „freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller“. Bouvier bedauert, „dieser Freiheitsgedanke“ werde „oft und gerne übersehen“. Außerdem entspräche der Diktaturbegriff des 19. Jahrhunderts nicht dem des 20. Jahrhunderts und tauge daher auch nicht als Gegenbegriff von Demokratie. Diese Unkenntnis führe zu Fehlinterpretationen (Beatrix Bouvier: Karl Marx heute – warum? – In: Beatrix Bouvier/Michael Schneider (Hg.): Geschichtspolitik und demokratische Kultur.- Bonn 2008. S.100/101).

Karl Marx also ein toleranter Demokrat? Keine geistige Kontinuität von Marx und Lenin? Was sagt Marx selbst zur Demokratie und zur Verwirklichung seiner Ideologie?
„Die Betriebsamkeit dieser kleinen aus der demokratischen Pißjauche ausgebrüteten badensischen Flöhe ist rührend.“ (Konrad Löw: Marx und Marxismus.- München 2001. S. 124)
Die Verachtung gegenüber Demokraten wird offenkundig, die primitive Ausdrucksweise scheint einem Philosophen nicht angemessen zu sein. Brutal und extrem sind auch seine Äußerungen zur politischen Gewalt:

„Wir sind rücksichtslos, wir verlangen keine Rücksicht von euch. Wenn die Reihe an uns kömmt, wir werden den Terrorismus nicht beschönigen.“
„… daß es nur ein Mittel gibt, -…, nur ein Mittel – den revolutionären Terrorismus“ (beide Löw, Marx und Marxismus S. 371)

Im letzten Absatz des Kommunistischen Manifests – 1847/48 verfasst von Marx und Friedrich Engels – heißt es:

„Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung.“

Löw hat völlig Recht, wenn er angesichts der Formulierung „gewaltsamer Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung“ meint: „Wer dieses Programm zu verwirklichen trachtet, nimmt Leichenberge in Kauf.“ (Löw, Marx und Marxismus S. 16)

Friedrich Engels liefert schließlich die Vorlage für den Terror von Lenin und Stalin in der Sowjetunion, aber auch in allen anderen kommunistischen Staaten, deren Täter sich sämtlich als Marxisten verstanden:
„Eine Revolution ist gewiß das autoritärste Ding, das es gibt; sie ist der Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung dem anderen Teil seinen Willen vermittels Gewehren, Bajonetten und Kanonen, also mit denkbar autoritärsten Mitteln aufzwingt; und die siegreiche Partei muß, wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen.“ (Löw, Marx und Marxismus S. 371)

50.000 Donauschwaben gingen elendig in den Lagern des Marxisten Tito zu Grunde

Doch zurück zur Aktuellen Debatte im Landtag von Rheinland-Pfalz. Joachim Paul machte darauf aufmerksam, dass Marx für all das stehe, „was die Landesregierung mit viel Geld durch die sogenannte Extremismus-Prävention bekämpfen will: politische Gewalt, Terrorismus, antidemokratisches Denken und Hass auf Andersdenkende“. Und dann verwies der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende auf eine Opfergruppe, die einen direkten Bezug zu Rheinland-Pfalz aufweist: „Die Spur der Opfer führt in unser Land. 50 000 Donauschwaben – überwiegend Frauen, Kinder und Greise – gingen elendig in den Lagern des Marxisten Tito zu Grunde. Die Überlebenden siedelten sich nach Vertreibung und Flucht in Rheinland-Pfalz an.“

Dazu muss man wissen, dass unter Donauschwaben diejenigen Deutschen zu verstehen sind, die im 18. Jahrhundert in das von Habsburg beherrschte Königreich Ungarn einwanderten. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang der Habsburger-Monarchie fanden sich die rund 1,5 Millionen Donauschwaben plötzlich in drei verschiedenen Staaten wieder: Ungarn, Rumänien und Jugoslawien. Und in Jugoslawien waren die Donauschwaben mit der Machtübernahme des kommunistischen Diktators Tito im Jahre 1944 brutalsten Verbrechen ausgesetzt. Von den 200 000 heimatverbliebenen Donauschwaben wurden rund 10 000 sofort ermordet und weitere 10 000 in die Sowjetunion deportiert. 8000 Personen, in Mischehen verheiratet oder aktive Kommunisten, blieben vom Terror verschont. Die restlichen ca. 170 000 Zivilisten wurden ausnahmslos in Lager interniert. Die eine Hälfte davon in Arbeitslager mit einer Todesrate von zehn Prozent, die andere Hälfte in Vernichtungslager mit einer Todesrate von 50 Prozent. Bei den Internierten handelte es sich vorwiegend um Greise, Frauen und Kinder, denn die Männer im wehrfähigen Alter waren schließlich beim Militär. Bis zur Auflösung der Lager im März 1948 starben in diesem Lagern 51 000 Menschen, darunter mehr als 6000 Kinder. Völkerrechtler Dieter Blumenwitz kam 2002 in einem Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Verbrechen an den Donauschwaben in Jugoslawien um Völkermord handelte (Dieter Blumenwitz: Rechtsgutachten über die Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948).

Joachim Paul wollte es bei der bloßen Erwähnung dieser donauschwäbischen Tragödie aber nicht belassen. Deshalb verknüpfte er seine Rede einen Tag später per Pressemitteilung mit einer konkreten Forderung: „Um den Opfern der marxistischen Ideologie eine Stimme zu geben, sollte die Landesregierung finanzielle Mittel bereitstellen, damit die in Rheinland-Pfalz beheimatete Landsmannschaft der Donaudeutschen eine Ausstellung über das Leid der Donauschwaben im kommunistischen Jugoslawien erarbeiten kann. Die Veranstaltungen anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx böten den passenden Rahmen, jährt sich doch 2018 die Auflösung der Lager des jugoslawischen Diktators Tito zum 70. Mal.“

Wie fielen die Reaktionen der anderen Parteien aus?

Erstaunlich die FDP. Abgeordnete Helga Lerch verteidigte Karl Marx im Stile einer Linken-Abgeordneten: „Karl Marx würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, was Lenin aus seinen Ideologien gemacht hat.“ Keine Überraschung dagegen der Hinweis der Grünen-Politikerin Eveline Lemke, die Veranstaltungen wären ein „kulturpolitischer Hotspot“. Für die Landesregierung mahnte Salvatore Barbaro, Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur sowie Vorsitzender des Aufsichtsrates der Ausstellungsgesellschaft, man solle keinen Einfluss auf die Wissenschaft nehmen und die Ausstellung erst dann beurteilen, wenn man sie gesehen hat. Außerdem sollen sich die Besucher selbst ein Urteil bilden. Damit ging Barbaro allerdings in keiner Weise auf den eigentlichen Kritikpunkt der AfD ein, die Wirkungsgeschichte der marxistischen Ideologie dürfe nicht ausgeklammert werden. Ebenso an der Sache vorbei argumentierte der Trierer SPD-Abgeordnete Sven Teuber, als er der AfD unterstellte, sie wäre grundsätzlich gegen eine Karl-Marx-Ausstellung. Ihm hielt der Trierer AfD-Abgeordnete Michael Frisch entgegen, er habe offenbar nicht richtig zugehört. Frisch bekräftigte: „Trier eignet sich nicht zum Wallfahrtsort einer undifferenzierten und selektiven Marxverehrung.“

Mit Spannung wurde die Positionierung der CDU erwartet. Im Vorfeld hatte der Trierer Bundestagsabgeordnete Bernhard Kaster heftig kritisiert, dass es dem Ausstellungskonzept an allem fehle, was aus den Ideen von Karl Marx im 20. Jahrhundert so geworden sei. Im Landtag agierte Gerd Schreiner lustlos, kein Wort über die fehlende Wirkungsgeschichte und auch kein Wort über Opfergruppen wie die Donauschwaben. Stattdessen würdigte er Marx sogar als einen der „wichtigsten europäischen Denker“! Bemerkenswert ist die Aussage auch deshalb, wenn man die Schlussfolgerung des Politologen Konrad Löw kennt. Dieser arbeitete nämlich heraus, dass Marx – und übrigens auch Engels – nichts Nennenswertes zur Philosophie, Ökonomie und Geschichtswissenschaft beigetragen habe. Ein bisschen Kritik am Marx-Kult übte Schreiner dann aber doch. So drückte er sein Befremden darüber aus, dass in Trier zum 200. Geburtstag eine knapp fünf Meter hohe Statue von Karl Marx aufgestellt werden soll – angefertigt von einem chinesischen Künstler. Zur widersprüchlichen Linie der CDU gehört, dass die CDU-Stadträte in Trier kein Problem mit der Aufstellung der Statue zu haben scheinen. Jedenfalls meldeten sie bislang keinen Protest an, im Stadtrat blieben sie in dieser Sache völlig zahnlos.

Fazit: Die AfD ist die einzige bürgerliche Kraft, die sich der einseitigen Karl-Marx-Darstellung glaubhaft und geschlossen widersetzt. 25 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion wäre es grundsätzlich angebracht, die Verbrechen in diesem kommunistischen Riesenreich intensiv aufzuarbeiten. Daher wäre es nahe gelegen, die Veranstaltungen zum 200. Geburtstag von Karl Marx in Trier unter das Leitthema „Marxistische Lehren und die Auswirkungen auf den real existierenden Kommunismus im 20. Jahrhundert“ zu stellen. Diesen Themenbereich bewusst komplett auszuklammern – unabhängig davon, ob man eine geistige Kontinuität erkennen will oder nicht -, zeigt das Desinteresse an einer gründlichen Aufarbeitung des marxistischen Erbes. Es zeigt zugleich, wie der renommierte Osteuropahistoriker Karl Schlögel – übrigens ein ehemaliger Maoist – den Nagel auf den Kopf trifft, wenn er in seinem 2008 von der Bundeszentrale für politische Bildung nachgedruckten Buch „Terror und Traum. Moskau 1937“ festhält:
„Und doch wurde der geschichtlichen Katastrophe und den menschlichen Tragödien in der Sowjetunion der 30er Jahre nie jene Aufmerksamkeit und Anteilnahme zuteil, die man von einer Öffentlichkeit, die sich dem Horror der nationalsozialistischen Verbrechen ausgesetzt hatte, erwarten durfte. Es herrschte eine auffällige Asymmetrie. Eine Welt, die sich die Namen von Dachau, Buchenwald und Auschwitz eingeprägt hatte, tat sich schwer mit Namen wie Workuta, Kolyma oder Magadan. (…) Die Opfer des anderen Zivilisationsbruchs verschwanden endgültig hinter der Mauer des Schweigens, die die Teilung Europas für ein halbes Jahrhundert aufgerichtet hatte.“