Dr. Jan Bollinger (AfD): Gutachten räumt verfassungsrechtliche Bedenken explizit nicht aus – auf Sondervermögen verzichten und Haushaltsrücklage abbauen!

Neuverschuldung in Rheinland-Pfalz

Stellungnahme zum Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes zum zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2020 sowie zum Corona-Sondervermögensgesetz

Die AfD-Fraktion hat mit Schreiben vom 26.08.2020 den wissenschaftlichen Dienst zu einer gutachterlichen Stellungnahme zum zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2020 sowie zum Corona-Sondervermögensgesetz ersucht.

Hintergrund ist, dass das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020 ein Finanzierungssaldo von -3,503 Mrd. € vorsieht, was zur höchsten Neuverschuldung in der Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz führen würde.

Auch wenn in Folge der Corona-Pandemie eine Verschuldung möglich und wohl auch unausweichlich ist, stellt sich die Frage, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen zusätzliche Ausgaben, die schuldenfinanziert sind, getätigt werden dürfen, so dass die bestehenden rechtlichen Normen eingehalten werden.

Im Auftrag des Bundes der Steuerzahler Deutschland e.V. hat der Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Gröpl ein „Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit des Entwurfs für ein zweites (Bundes)Nachtragshaushaltsgesetz 2020 mit haushaltsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere mit der sogenannten Schuldenbremse“ erstellt, dessen Ergebnisse auf Grund ähnlicher bis gleicher Normen auf das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020 des Landes Rheinland-Pfalz übertragbar sind.

Die wesentlichen Thesen des Gutachtens sind:

  • Die Aufnahme von Krediten zur Finanzierung von Rücklagen, Fonds oder Sondervermögen ist auch in einer Notlagensituation unzulässig („man verschuldet sich, um zu sparen“)
  • Es widerspricht auch in einer Notsituation den Grundsätzen der Schuldenbremse, wenn man sich verschuldet, obwohl noch in einem hohen Maß Rücklagen bestehen.
  • Eine Notlagenverschuldung muss durch die Notlage veranlasst sein, also in einem Zurechnungszusammenhang stehen

Im vorliegenden zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2020 sowie der entsprechenden Anlagen kommt es zu Zuführungen an das Corona-Sondervermögen in Höhe von 1,0953 Mrd. € (Haushaltstitel 20 02 634 71 und 20 02 884 71). Innerhalb des Gesetzesentwurfs zum Corona-Sondervermögensgesetz wird unter C. Alternativen erläutert, dass es keine Alternativen geben würde, da eine Veranschlagung im Landeshaushalt „weit weniger gerecht“ wäre und die Betroffenen durch das Sondergesetz mehr Planungssicherheit hätten. Durch die Einstellung von Verpflichtungsermächtigungen besteht jedoch schon eine gewisse Planungssicherheit.

Neben der rechtlichen Fragwürdigkeit besteht also auch kein hinreichender sachlicher Grund, warum die Ausgaben nicht aus den zukünftigen Haushalten finanziert werden könnten.

Auch der Landesrechnungshof folgt grundsätzlich dieser Argumentation. Dessen Präsident Jörg Berres sagte hierzu: „Nach Auffassung des Rechnungshofs steht es mit der Schuldenbremse nicht im Einklang, Mittel für einen mehrjährigen Bedarf zulasten der Nettokreditaufnahme 2020 unter Berufung auf die vorliegende außergewöhnliche Notsituation vorzusehen.“

Weiter hat das Land in den vergangenen Jahren eine Haushaltssicherungsrücklage aufgebaut, die gegenwärtig einen Umfang von etwa 1 Mrd. € hat. Im zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2020, in dem 3,453 Mrd. € zusätzliche Kredite aufgenommen werden, kommt es zu keiner Entnahme aus der Haushaltssicherungsrücklage.

Durch die Inanspruchnahme der Haushaltssicherungsrücklage und dem Verzicht auf das Corona-Sondervermögen könnte die Neuverschuldung auf ein Maß von etwa 1,5 Mrd. € reduziert werden.

In seinem Gutachten teilt der wissenschaftliche Dienst die Rechtsauffassungen von Prof. Dr. Gröpl und des Landesrechnungshofes in Teilen nicht. Er gibt aber zu bedenken, dass „ein verfassungsrechtliches Restrisiko vor dem Hintergrund der auch bereits im Antrag angesprochenen abweichenden Auffassungen nicht vollständig ausgeschlossen werden kann.“

Für die AfD-Fraktion nimmt der parlamentarische Geschäftsführer Dr. Jan Bollinger Stellung: „Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes zum zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2020 sowie zum Corona-Sondervermögensgesetz räumt die verfassungsrechtlichen Bedenken explizit nicht aus.

Neben den rechtlichen Aspekten besteht auch sachlich keine Notwendigkeit zur Schaffung des Sondervermögens und es ist inhaltlich nicht begründbar, warum eine Nettokreditaufnahme im Milliardenbereich stattfindet und die Haushaltssicherungsrücklage, die zur Reduzierung oder Vermeidung von Nettokreditaufnahme dient, nicht angetastet wird.

Wir fordern also auf, auf das Sondervermögen zu verzichten und die Haushaltssicherungsrücklage weitestgehend aufzulösen. Hierdurch würde die Nettokreditaufnahme um über 2 Milliarden für das laufende Jahr reduziert werden, man würde den Grundsätzen der Haushaltsklarheit und Jährlichkeit Genüge tun, die Befugnisse des Parlaments nicht beschneiden sowie einen in jedem Fall verfassungskonformen Haushalt verabschieden.“

Dr. Jan Bollinger ist Parlamentarischer Geschäftsführer und verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz.